• Zweiter erster Schultag mit den M’s
      • Zweiter erster Schultag mit den M’s

      • 13.04.2021 08:22
      • Ein Gastbeitrag von Hannes Köhle (freischaffender Journalist)
      • Kleine bunte Schultüten und eine große Buchstaben-Girlande mit der Aufschrift ‚Alles Gute zum Schulanfang‘ hängen von der Decke des leeren Klassenraums. Dabei ist der Schulstart schon ein halbes Jahr her. Seit Ende letzten Jahres aber steht das Klassenzimmer der 1b in der Franz-Anton-Maulbertsch-Schule in Langenargen leer. Wegen Corona fand der Unterricht online statt. Sandra Kley ist die Klassenlehrerin der 1b und steht mit der Grundschulöffnung vor einer großen organisatorischen Herausforderung.

         

        An der Wand hängt noch der alte Stundenplan von Dezember. Der gilt nun nicht mehr. Sandra Kley hat zwei neue Pläne ausgearbeitet, die genau regeln, wo, wann und was jeder Schüler an den einzelnen Tagen lernen soll. Am ersten Schultag wird sich nun zeigen, ob ihre ausgeklügelten Lernpläne auch in der Praxis funktionieren. Sandra Kley soll in den nächsten Wochen in Präsenz, gleichzeitig im Wechsel und nach einer Woche auch online unterrichten. „Ich habe mir die Pläne erarbeitet, um den Knoten aus dem Hirn zu bekommen“, sagt Sandra Kley.

         

        Um halb neun geht die Grundschullehrerin an den Eingang, um die M-Gruppe abzuholen, also alle Schüler die montags und mittwochs im Präsenzunterricht sind. Als sie die Glastüre von innen aufmacht, wird sie mit einem lauten „Hallo Frau Kley“ begrüßt. Ein, zwei Nachzügler kommen noch gerannt. Ein prüfender Blick in die Runde, neun Schüler sind da, zwei sind krank - die M’s sind vollzählig. Etwas weiter hinten auf dem Schulhof läuft noch etwas verloren ein weiterer Schüler. Er gehört zur D-Gruppe, die dienstags und donnerstags in die Schule kommen. Deshalb geht er nun in die Notbetreuung und darf heute nicht mit seinen Klassenkameraden zusammen lernen.

         

        Nachdem am Eingang alle ihre Hände desinfiziert haben, startet die erste Unterrichtsstunde der Bärenklasse. „Wisst ihr überhaupt, was wir machen, wenn wir morgens in die Schule kommen?“, fragt Sandra Kley in die Runde. „Wie wäre es mit Hefte raus und Mäppchen aufschlagen?“ Die 1b hat trotz Vorfreude auf den ersten Schultag im Homeschooling offenbar einiges vergessen. Eifrig werden Hefte und Stifte ausgepackt.

         

        Sandra Kley hat sich entschieden, mit FFP2-Maske zu unterrichten, auch wenn es offiziell keine Vorgaben vom Land gibt. Vor allem die Nachrichten über die Virus-Mutationen machen ihr Sorgen. Wenn sie vor ihren Schülern steht, spielt das in dem Moment keine Rolle mehr.

        Jetzt begrüßt auch Klassenmaskottchen Bär Balu die Runde. Die Handpuppe quäkt: „Hier in der Schule war in den letzten Wochen nix los – da bin ich zu Frau Kley gezogen.“ Bei Frau Kley wird Bär Balu auch in der folgenden Woche wieder wohnen, dann sind die Klassenstufen 1 und 3 wieder komplett im Onlineunterricht. Und spätestens jetzt versteht man, warum Lehrerin Sandra Kley einen Knoten im Kopf hat, wenn es um die Unterrichtsplanung geht. Denn in der kommenden Woche dürfen die Klassen 2 und 4 ins Schulgebäude kommen. So können die Gruppen getrennt voneinander unterrichtet werden. Die Jahrgangsstufen wechseln also wöchentlich, während sich die einzelnen Klassengruppen täglich abwechseln. Aber keine Regel ohne Ausnahmen: Freitags sind beide Klassenhälften zu unterschiedlichen Zeiten jeweils für zwei Stunden in der Schule, nur so kommen die Schüler innerhalb von zwei Wochen auf die vom Kultusministerium geforderten zwölf Präsenz-Schulstunden. „Eine Woche so, eine Woche so, das macht es kompliziert“, sagt sie. An den Tagen, in denen die Schüler keinen Präsenzunterricht haben, wird eine Notbetreuung angeboten.

         

        Nun sitzt eine Schülergeneration vor Sandra Kley, die die Regeln für Videokonferenzen von A bis Z kennt, aber noch nicht das ganze Alphabet. Trotz der letzten Wochen ist Sandra Kley im Lernplan: Heute ist der Buchstabe K an der Reihe. In Stillarbeit und mit Entspannungsmusik üben die Kinder an der Tafel, auf dem Platz oder auf einem Tablet, die richtige Schreibweise des Buchstabens. Sandra Kley geht von Platz zu Platz und korrigiert die Grundschüler beim Schreibtraining. Im klassischen Unterricht kann sie, anders als online, leicht überprüfen, ob das K immer auch richtig geschrieben wird.

         

        Wann lernt welche Schülergruppe die richtige Schreibweise des Buchstaben K? Welche Grundlagen sollten in Präsenz vermittelt werden? Und welcher Text kann Zuhause gelesen werden? Die Deutschlehrerin und ihre Kollegen mussten das wenige Tage vor dem Schulbeginn genau durchdenken, denn erst da hat das Kultusministerium mittgeteilt, welche Form der Unterricht hat. Die Herausforderung: Am Freitag um 12 Uhr muss Kley die ganze Klasse auf dem gleichen Lernstand haben, damit in der nächsten Woche alle gleichzeitig in den Onlineunterricht

         

        starten können. Zusätzlich muss sie immer auch die Eltern ihrer Schüler im Blick behalten, da diese im Homeschooling oft selbst an ihr Limit geraten. Doch da kann sie nur bedingt helfen. „Meine Aufgabe ist es, die Kinder mit dem Unterrichtsstoff bis zum Ende des Schuljahres zu versorgen und irgendwie zu schauen, dass es ihnen gut geht“, sagt sie.

         

        So langsam lässt die Konzentration der Bärenklasse nach. Das Klettergerüst im Schulhof wartet. Nach dem ersten fünfstündigen Schultag seit Monaten ist es Zeit für eine Pause. Die M-Gruppe der 1b ist nun die einzige Klasse auf dem Pausenhof. Während die sich austobt und klettert, kann Sandra Kley an die Kollegin für den Matheunterricht übergeben. Der Wechsel wird vom Klettergerüst aufmerksam beobachtet und direkt kommentiert: „Och nee Mathe, da hab ich jetzt gar kein Bock drauf“.

         

        Autor: Hannes KÖHLE

         
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